Gedankenbläschen #007 : Frauen an den Brettspieltisch reloaded

Seit langer Zeit schlummern auf meiner Festplatte ein paar Beiträge von weiblichen Bloggern, die ich vor geraumer Zeit gebeten hatte, meinen Artikel „Frauen an den Brettspieltisch“ aus ihrer Sicht zu kommentieren. Meine Frage war, welche Gründe sie vermuten, warum es so wenig weibliche Blogger gibt. Die Antworten waren so unterschiedlich, dass ich Probleme hatte, daraus einen konsistenten Artikel zu schustern. Der Beitrag auf spielbar und ein Twitterkommentar von Julian haben mich jetzt allerdings bewogen, Euch diese Ansichten nicht länger vorenthalten zu wollen, auch wenn ich sie nicht elegant in einen Artikel verwoben habe, sondern sie mehr aufzählend nebeneinander stelle.

Julia von Spiel doch mal! hat auch schon oft erlebt, dass sie die einzige Frau am Spieltisch ist:
Mir als Frau ist natürlich auch schon aufgefallen, dass es mehr Männer gibt, die gerne spielen als Frauen. In unseren Spielerunden kommt es nicht selten vor, dass ich die einzige Frau bin, die mit am Tisch sitzt. Stört mich das? Nein. Gibt es nicht bei fast jedem Hobby ein Geschlecht, das häufiger vertreten ist? Solange man als Frau von den männlichen Mitspielern akzeptiert wird, ist es egal mit wem man zusammen spielt. Viel wichtiger ist es doch, dass man sein gemeinsames Hobby zusammen ausleben und sich darüber unterhalten kann.
Auf der SPIEL habe ich tatsächlich auch das Gefühl, dass dort nicht deutlich mehr Männer als Frauen zu finden sind, aber natürlich weiß man nicht, ob manche Frauen nur ihren Männern zuliebe mitgekommen sind oder auch des Events wegen und nicht, weil sie selbst die größten Spielefans sind. Wenn man sich allerdings in der Gesellschaftsspiele-Blogger-und-Journalisten-Landschaft – und mit Blogger meine ich alle, die Beiträge rund um Gesellschaftsspiele veröffentlichen, egal ob dies Texte, Videos oder Podcasts sind – umschaut, dann bestätigt sich das Bild, das sich auch in der „Spiel des Jahres“-Jury zeigt: Es gibt deutlich mehr männliche Blogger und Journalisten als weibliche. Woran das liegt? Keine Ahnung. An der Technik denke ich eher nicht, denn in anderen Bereichen z. B. Kosmetik und Mode gibt es unzählige weibliche Bloggerinnen. An dem – leider immer noch weit verbreiteten – Ruf Spiele seien nur etwas für Kinder? Da wäre mir nicht klar, was das mit Geschlechtern von Bloggern zu tun hat. Der Ruf würde ja Männer und Frauen gleichermaßen vom Bloggen abhalten.
Eine Idee hätte ich dann doch noch – die wiederum ein Klischee bedient: Männern wird immer nachgesagt, dass sie besser logisch denken können als Frauen. Gerade in den strategischen Spielen wird genau dieses logische Denken besonders gefordert und dann ist es klar, dass Personen, denen logisches Denken mehr liegt auch mehr Spaß an diesen Spielen haben. Aber nichts desto trotz: Es bleibt ein Mysterium.
Das wichtigste für mich ist aber, dass ich mich als weibliche Bloggerin von Beginn an weder ausgegrenzt noch in den Mittelpunkt gestellt gefühlt habe. Mein Eindruck der Branche ist: Egal ob du männlich oder weiblich bist – Hauptsache dir liegen die Spiele am Herzen und das ist es doch, was uns alle verbindet unabhängig vom Geschlecht.

Kaddy von den Spielfritten hat auf meine Anfrage einen eigenen Artikel zu dem Thema verfasst, der hier zu finden ist.
Sie vermutet aus den Abonnentenzahlen, dass sich weibliche Teenager oftmals mehr für Youtuberinnen aus dem Beautybereich interessieren. In ihrem Freundeskreis finden sich mehr männliche Mitspieler als weibliche, wobei sie EXIT als Ausnahme sieht. Die größere Anzahl an spielenden Frauen auf der Messe könnte daran liegen, dass diese ihrem Partner zuliebe mitgehen.
Kaddy wünscht sich allerdings keine Sonderthemen für Frauen (Ponywelt), sondern sie fordert Frauen auf, sich auf etwas Unbekanntes wie eine Fantasywelt einzulassen.
In den PR-Abteilungen der Spieleverlage nimmt sie eine größere Prozentzahl (geschätzt 70%) an Frauen wahr und findet es toll, dass man als Frau nicht alleine dasteht, sondern dass da draußen noch mehr sind. Man muss sie nur finden. Und je mehr es werden, desto leichter wird man sie finden.

Sonja, die Brettspielpoetin, antwortet auf meine Nachfrage sehr analytisch und kommentiert die einzelnen Thesen des Beitrags aus ihrer Sicht:
Männer jagen das Essen, Frauen stehen am Herd – Das sind doch immer noch typische Klischees. Ich bin da schon immer anders gewesen. In meiner Nachbarschaft fast nur mit Jungs aufgewachsen, später als Fußballfan regelmäßig Auswärtsfahrten in Sonderzügen miterlebt und dann einen Beruf gewählt, in dem Frauen noch immer eher in der Minderzahl sind. Und das passierte alles nicht aus vorsätzlicher Gegenwehr gegen das typische Bild der Frau in der Gesellschaft, sondern einfach weil es mir Spaß macht. Ich bin da eben etwas anders gestrickt und komme häufig mit Männern besser klar, als mit Frauen. Rede lieber über Fußball, als über Schuhe und stoße lieber mit einem herzhaften Bier als mit Sekt an. Aber hier geht es ja um Frauen in der Brettspielszene. Und hier komme ich interessanterweise auch mit den Frauen sehr gut klar.
Kommen wir nun zu den Thesen, die Stephan in seinem Text genannt hat (kursiv dargestellt). Diese möchte ich gerne aus meiner Sicht analysieren:

These: Frauen sind weniger technisch interessiert und Spiele mit diesen komplexen Regeln wirken oftmals technisch und verkopft.
— Als Wirtschaftsinformatiker darf es für mich auch ruhig mal technisch sein, daher kann ich dieses Argument entkräften. Ich habe kein Problem mit komplexen Regeln, solange sie mir Jemand verständlich und zugänglich macht, seitenweises Regel Lesen schreckt mich auch eher ab. Aber ich spiele gerne komplexe Spiele und es ist doch auch irgendwie ein gutes Gefühl, wenn sich die Arbeit lohnt und man mit einem tollen Spiel belohnt wird.

These: Im Erwachsenenspielebereich würden doch „martialische“ Settings vorherrschen, auch viel Städtebau oder Siedlungszeug – eher männliche Themen.
— Ich mag sicherlich nicht jedes Thema, aber manchmal muss man sich einfach darauf einlassen. Terraforming Mars kam das erste Mal vor dem großen Hype auf unseren Tisch und was hätte ich nicht alles dafür gegeben, ein anderes Spiel zu spielen. Marsbesiedlung klang nun wirklich öde…Und nun gehört es zu meinen absoluten Lieblingsspielen. Ich habe hingegen wenig Interesse an Themen wie Kinder, Erziehung, Ernährung oder Verschönerungen, wobei sich doch auch diese mittlerweile finden lassen und mir zusagen (Patchwork, Rokoko,…).

These: In mir verstärkt sich der Verdacht, dass Frauen möglicherweise weniger kompetitiv spielen und das Spielen stärker unter dem sozialen Aspekt eines Miteinanders verstehen
— Ich persönlich bin ein sehr kompetitiver Mensch…In der Ausbildung hatte ich eine ebenso ambitionierte Kollegin und wir haben uns immer gegenseitig gepusht, weil jede besser als die andere sein wollte. Nicht dass wir großartig enttäuscht gewesen wären, wenn es nicht gelang, weil wir es auch der Freundin gegönnt haben, aber dieser Konkurrenzkampf hat uns zu Höchstleistungen geführt. Und auch später im Studium wollte ich immer die Beste sein, das gelang natürlich nicht immer, aber der Ansporn war stets da. Und genauso empfinde ich es auch beim Spielen. Ich will immer gewinnen. Am liebsten alleine, daher kann ich die These, dass Frauen vor allem auf kooperative Spiele stehen, nicht untermauern. Meine Schwester rümpft übrigens die Nase wenn was kooperatives auf den Tisch kommt und sucht nach Alternativen. Mir macht kooperativ auch mal Spaß, aber in einem kompetitiven Spiel muss ich nur alleine für meine Fehler gerade stehen. Kooperativ muss ich mich gegenüber den Mitspielern verantworten, wenn ich einen unüberlegten Zug mache, da empfinde ich viel mehr Druck. Denn unüberlegte Züge passieren mir vor allem in den ersten Partien häufig, ich benötige meist eine gewisse Zeit, mich auf ein neues Spiel einzustellen. Aber ich freue mich darüber, mich zu verbessern und ein Spiel immer weiter zu ergründen.

These: Um nämlich eine solche Position einzunehmen, muss man sich zunächst am Spieletisch beweisen und dominieren, was Frauen weniger liegen würde.
— Auch das musste ich erst lernen, durch die vielen Spiele und vor allem meinen Blog bin ich allerdings etwas selbstbewusster geworden. Dennoch würde ich den Blog sicher nicht ganz alleine betreiben wollen, sondern fühle mich wohler, wenn Jemand drüber liest, bevor ich einen Artikel veröffentliche. Ich schreibe zwar für mein Leben gerne und denke, dass sich meine Texte auch ganz gut lesen lassen, aber vor allem meine Spielbeschreibungen wirken manches mal ein wenig konfus. Ich bin selbst nämlich nicht so gut im spontanen Regeln erklären.

These: Frauen verbinden Brettspiele eher mit kleinen Kindern als Männer.
— Spielen gehörte für mich immer dazu, auch wenn über viele Jahre eher Konsolenspiele angesagt waren und die Brettspiele erst in den letzten Jahren bei mir vermehrt aufkamen. Bei meinen Kollegen (männlich wie weiblich) wird das Spielen auch immer belächelt, gerne als “Kinderkram” bezeichnet. Da stehe ich drüber, weil ich eben mehr Spiele kenne als Monopoly und Risiko und versuche eher den Horizont meiner Kollegen ebenfalls zu erweitern.
Wenn ich mich so in unserem Freundeskreis umsehe, dann sind es Frauen und Männer gleichermaßen, die mit uns spielen wollen. Allerdings verabschieden sich die Frauen häufig früher, da sie am kommenden Morgen fit für die Kids sein wollen. Und ich denke genau da liegt der Knackpunkt für Mütter, die einer hobbymäßigen, journalistischen Tätigkeit nachgehen. Man kann diese Tätigkeit mit voller Leidenschaft ausleben, doch wenn erst einmal Kinder auf der Welt sind, stehen diese an erster Stelle. Und dann bleibt erst einmal wenig Zeit zum Spielen oder gar darüber zu schreiben. Irgendwann kann man dann mit den Kindern spielen, aber bis man sich wieder voll und ganz der eigenen Spieleleidenschaft widmen kann, dauert es eben. Das ist sicher auch stereotypisch und es mag Beziehungen geben, in denen die Rollen anders verteilt sind, aber ich denke, dies ist der Hauptgrund, warum in der SdJ-Jury so wenige Frauen vertreten sind. Denn für die Jury-Tätigkeit muss viel Freizeit investiert werden, die man als Frau mit Kindern sicherlich nur schwer entbehren kann bzw. möchte. Vielleicht wird sich das Bild ändern, wenn die ganzen Kinder Erwachsen sind und auch die Muttis wieder Zeit für Spiele und die Berichterstattung darüber haben. Da kann man sich natürlich fragen, wieso es jetzt nur wenig Frauen mit erwachsenen Kindern gibt, die über Brettspiele berichten. Vielleicht war es vor einigen Jahren noch eine andere Situation, denn ich denke, dass sich die gesamte Szene gerade im Wandel befindet. Brettspiele werden grundsätzlich beliebter und finden immer mehr Verbreitung. In den letzten Jahren kamen viele Online-Medien hinzu, die Brettspiele behandeln und immer häufiger sind dort auch Frauen dabei. Ich bin gespannt wie sich das alles entwickelt.

Sonja antwortete auch auf Julians Kommentar, dass aufgrund der Männernetzwerke den BlogerInnen ein krasser Sexismus entgegenschlägt: „Das ist bisher an mir vorbei gegangen. Meine Erfahrung ist jedenfalls genau umgekehrt: Als aktiver Fußballfan und Informatiker musste ich mich mein Leben lang beweisen, um akzeptiert zu werden. In der Brettspielwelt habe ich erstmals das Gefühl dies nicht tun zu müssen.“

Abschließend hat Katharina von der Würfelbox einen Aspekt ins Spiel gebracht, der einen prinzipiellen Unterschied zwischen den Geschlechtern beschreibt:

Ein Puzzlestein zur Klärung der Frage warum wesentlich mehr Männer im Bereich Brettspiele journalistisch tätig sind als Frauen, könnte in einem grundlegenden Unterschied zwischen den Geschlechtern liegen: Männer sind extremer als Frauen.
Frauen bewegen sich nach der britischen Psychologin Helena Cronin von der London School of Economic eher um den Durchschnitt. Oder, um es mit den Worten der US-amerikanische Kulturhistorikerin Camille Paglia zu sagen: „Es gibt keinen weiblichen Mozart, weil es keinen weiblichen Jack the Ripper gibt.“
Auf die Brettspielwelt übertragen hieße das: Die meisten Frauen spielen ab und zu oder sind dem Thema zumindest offen gegenüber. Unter den Männern hingegen gibt es viele, die gar keine Brettspiele spielen, wenige, die es ab und zu tun und wieder deutlich mehr, die sich so stark in das Thema vertiefen, wie es für eine journalistische Tätigkeit in dem Bereich notwendig ist.

Ist die Frage geklärt?
Auch wenn ich meine Frage nicht abschließend beantworten kann, kann ich festhalten, dass sich viele über mehr bloggende Frauen im Brettspielbereich freuen würden. Einen „krassen Sexismus“ konnte ich jedenfalls nicht wahrnehmen. Mich freut es, dass auch in keinem der Beiträgen von einer geschlechterfeindlichen Stimmung berichtet wurde. Und falls eine Leserin gerade mit dem Gedanken spielt, sich journalistisch im Brettspielbereich auszutoben: Macht es einfach und potenziert Euren Spaß, indem ihr ihn mit anderen teilt!

Vielen Dank an Julia, Kaddy, Sonja und Katharina für Eure Beiträge und die Geduld.