DETECTIVE : MEIN NAME IST MASTER, KRIMIMASTER! ICH ÜBERNEHME DEN FALL!

Heute geht es mal ganz klassisch zu und ich ordne meine Gedanken in typische Kategorien ein. Darf auch mal sein.

Spielregeln und Spielablauf:
Der Spielaufbau der ersten Partie geht schnell von der Ermittlerhand. Wir spielen kooperativ und möchten als Polizeieinheit gemeinschaftlich einen Fall lösen. Dazu wählen wir einen Charakter und erhalten dementsprechend Marker, die wir während unserer Erkundigung einsetzen können.
Auf dem Spielplan sind die verschiedenen Orte und unsere Zeitleiste, die gnadenlos den Feierabend entgegengeht. Wechseln wir den Ort oder gehen wir einer heißen Spur nach, kostet das Zeit. Möchten wir zum Beispiel im Archiv einen alten Bericht lesen, dann kommt das Kartendeck zum Einsatz. Ähnlich wie bei TIME STORIES bietet das Deck viele Möglichkeiten, die das fortschreiten in der Story gewährleisten.

Beispiel:
Möchtet Ihr im Labor das Blut genauer untersuchen, dann nimmt Karte 12.
Möchtet Ihr den Zeugen befragen, dann tippt den Code 5417 in die ANTARES-Datenbank ein.
Möchtet Ihr untersuchen, ob in der Umgebung des Tatorts Kameras installiert sind, dann legt zwei Suchmarker ab und nehmt Euch Karte 18.

Richtig gelesen, denn neben den Karten steht eine Datenbank im Browser zur Verfügung, in der wir u.a. Fingerabdrücke und Lebensläufe von verdächtigen Personen checken. Aber auch das „richtige“ Internet wird eingesetzt, denn wir haben auch historische Ereignisse zu recherchieren oder forensische Fachbegriffe nachzuschlagen.

Nach einer vorgegebenen In-Game-Zeit, kommt es vor unserem Chef zum Showdown. Wir loggen uns ein und  beantworten Multiple-Choice-Fragen zum Fall.

Mechanik:
Die Zeitleiste und die Marker beschränken den zu entdeckenden Fall. Die Überlegungen gehen daher in die Richtung, wie wir unsere Zeit einteilen wollen und ob wir es sinnvoll erachten, bestimmte Marker für Informationen einzusetzen. Wir diskutieren, welcher Weg erfolgreich sein könnte.
Am Tatort werden uns beispielsweise fünf verschiedene Hinweise präsentiert, denen wir alle gerne nachgehen wollen. Die Zeit lässt es aber nur zu, dass wir drei davon erforschen. Es gilt zu akzeptieren, dass wir nicht alle Karten des Decks sehen werden. Etwa 20 bekommen wir zu Gesicht, die anderen bleiben in der Schachtel und dürfen auch danach nicht eingesehen werden, denn die Fälle bauen aufeinander auf. Dies muss akzeptiert werden, denn nur zu gerne, hätte ich alles erforscht. Wäre ich noch so jedem kleinen Hinweis nachgegangen. Diese Mechanik schränkt mich ein: Fluch und Segen zugleich. Unsere Entscheidungen haben dadurch Gewicht, aber ich fühlte mich teilweise unnötig gegängelt. Würde ich so gerne doch alles sehen und erleben, noch tiefer ins Spiel eindringen. Die uns gegebenen Informationen müssen gekonnt verknüpft werden – und es gibt viele davon!

Charaktere:
Bei den zu wählenden Charakteren wurde viel Potential verschenkt. Eine Identifikation mit diesen findet de facto nicht statt. Sie werden reduziert auf einen Bonuseffekt.
Schade, denn im ersten Moment wirken sie plastisch, fast schon realistisch mit einer kleinen Hintergrundgeschichte ausgestattet. Toll wäre es gewesen, wenn die Geschichte auf diese Wahl reagiert und z.B. Verhöre nach der Wahl der Ermittelnden anders gestalten. In dieser Form führt es bei mir zu keiner Verbundenheit mit dem Charakter.

Spielgefühl:
Hier werde ich hin- und hergerissen. Auf der einen Seite artet es teilweise in „echter“ PolizeiARBEIT aus (mehrere zwölfstellige Zahlencodes müssen eingetippt werden), auf der anderen Seite erlebe ich Diskussionen und Ermittlungen in einer Tiefe, die mir kein anderes Kriminalspiel bisher bieten konnte. Wir erstellen Mindmaps und verknüpfen die Fakten miteinander. Während einige meiner Mitspielenden die Nase gerümpft haben wegen des Aufwandes, liebten andere genau diese Realitätsnähe.
Es ist Konzept des Spiels, dass wir uns verheddern, im Dunkel stochern und falschen Fährten nachgehen. Es lässt uns Freiheiten und leitet dabei wenig an. Dadurch werden aber unsere Entscheidungen bedeutsam, wir müssen uns fokussieren und ständig hinterfragen. Es wird eine ganz besondere Atmosphäre geschaffen, ich fühle mich wie ein echter Ermittler – mit allen Höhen und Tiefen.

Story:
Hier werden die größten Geschütze aufgefahren, die das Spiel zu bieten hat. Es ist schlichtweg grandios, wie tief und verwoben die Fälle sind. Sie bauen aufeinander auf und bieten eine enorme Informationstiefe. An einigen Stellen sind sie sogar lehrreich, denn durch die Internetrecherche werden historische Fakten geschickt in die Geschichte integriert. Auch wenn nicht die besten Schreiber am Werk waren und mitunter sehr tief in die Klischeekiste gegriffen wurde, trifft man im Brettspielbereich selten auf so eine durchdachte Story.

Fazit:
DETECTIVE klassifiziere ich als Diskussions-Entscheidungs-Spiel. An vielen Stellen brauche ich Deduktion, aber manchmal reicht auch Glück, den richtigen Hinweis nachgegangen zu sein.
Da die Fälle aufeinander aufbauen, können sie im Prinzip nur von der gleichen Gruppe durchgespielt werden. Und da sie einiges an Gedächtnisleistung abverlangen, sollte nicht zu viel Zeit zwischen den einzelnen Sitzungen vergehen. Im Fall 5 liegen mitunter mehr als 25 Personen aus, viele davon wohlbekannt aus Fall 1. Daher mein Tipp: zügig durchspielen und die richtigen Spürnasen im Freundeskreis auswählen. Diese sollten die passenden Fertigkeiten mitbringen: sie sollten gerne diskutieren, Mindmaps anfertigen, Fakten wenden und drehen, viel lesen und interpretieren und darüber hinaus eine gewisse Frustrationstoleranz besitzen. Es kann durchaus passieren, dass einem Hinweis nicht genug Beachtung geschenkt wurde und daher ein Fall nicht gelöst wurde, obwohl die Gruppe vier Stunden lang intensiv diskutiert hat. Es ist Teil des Konzepts, dass Dinge verborgen bleiben. Es gilt, dies auszuhalten und Storyfragmente plausibel zusammenzufügen.
Meiner Beobachtung nach korreliert der persönliche Erfolg stark mit dem empfunden Spielerlebnis. Während wir Fall 3 bestens lösten und als spitze einstuften, berichtete mir die Parallelgruppe, dass sie diesen völlig zufällig und nicht gut fand. Sie scheiterten an einer Stelle. Umgekehrt verhielt es sich bei Fall 2, den wir nicht lösen konnten, weil sich uns ein ganzer Komplex nicht eröffnet hat und sie dafür abfeierten.
Doch alle Punkte, die ich hier kritisch anführe, werden entschädigt. Denn zur Belohnung gibt es eine intensive Story und ein Spielerlebnis, das seinesgleichen sucht. Wir treffen echte Entscheidungen. Das Spiel fühlt sich frisch und neu an, es ist ganz besonders. Ich freue mich sehr auf eine zweite Staffel und hoffe, dass dann das volle Potential ausgeschöpft wird. So müssen für mich neue Brettspiele aussehen: die Zukunft gehört ihnen und da darf es dann jetzt gerne auch mal an der ein oder anderen Stelle kneifen.