BETRAYAL LEGACY : Der ultimative Verrat

Ein altes Herrenhaus steht im Wald am Rand der Stadt. Zunächst betreten wir als Team diese verwunschene Villa – jeder aus seinen ganz eigenen Motiven. Was wir jedoch dort finden, übersteigt unsere Vorstellungskraft. Es lauert ein Grauen, dass einen von uns übermannt – dieses Mal ist es Daniel. Seit zehn Minuten sitzt er im Nebenzimmer und studiert sein Verräterhandbuch. Er kommt mit einem hämischen Grinsen in meine Küche zurück. Wir drei beäugen ihn kritisch, denn wir kennen seine teuflischen Pläne nicht. Zum Glück ist auch unser Ziel vor ihm verborgen. Er setzt seine Spielfigur, die er liebevoll Henriette Le Clerk genannt hat, in die Küche der Villa. Wir drei schauen uns an. Was hat er nur vor?

ROB DAVIAU vermag es, durch seinen Legacy-Stempel bekannten Spielen neues Leben einzuhauchen. Hier ergänzt er das Basisspiel BETRAYAL AT THE HOUSE ON THE HILL um ein geschichtliches Geflecht und verbindet so die einzelnen Partien miteinander. Wir spielen jeweils einen Abkömmling einer Familie und durchleben in 13 Spielrunden mehrere Generationen dieser Familie. Zu Beginn geht es noch kooperativ zu, doch ein Würfelwurf entscheidet, wann der Verrat startet und sich einer von uns gegen die Gruppe stellt. Wir sind Protagonisten einer trashigen Gruselgeschichte, die von blutgierigen Vampiren bis hin zu kampflustigen Clowns gehen kann.

Das Legacy-Prinzip wird vollends ausgeschöpft und über das Grundspiel gegossen. Gegenstände, die wir im Haus finden, können wir personalisieren und damit für unsere Familie einen Vorteil verschaffen. Ein Sticker wird aufgeklebt und ein Name verpasst und in jeder weiteren Partie erinnern wir uns daran, dass ich dieser magischen Heugabel den Titel „Pity Pitchfork“ verpasst habe. Das Spiel beginnt im Jahr 1666 und endet 2004. Dabei verändert sich auch das Herrenhaus – zu Beginn so klein wie ein Waldhütte, kommen jede Runde mehr und mehr neue Räume und Gegenstände hinzu, die den aktuellen Zeitgeist abbilden. Überlebt mein Charakter, kann ich ihn in der nächsten Partie nochmal in die Villa schicken. Gewinnt er gar, kann er Hausherr des Anwesens werden. Wenn er jedoch stirbt, wird ein Geistersticker auf das Raumteil geklebt, was in weiteren Partien Auswirkungen haben kann. Gezogene Ereigniskarten können andere Effekte auslösen, wenn sie bereits in früheren Spielen vorkamen. In bester Erinnerung bleibt mir der immer wieder vorkommende Satz: „Zerstört die Karten x bis y. Sie ist nicht Teil Eurer Geschichte.“ Denn der Ablauf der einzelnen Partien ist individuell – bereits nach der zweiten Runde konnte ich mit einer Parallelgruppe feststellen, dass wir völlig unterschiedliche Geschichten erleben. Am Ende unserer Kampagne blieben wie bei RISE OF QUEENSDALE einige Plättchen unausgepöppelt im Bogen zurück. Es gibt noch mehr, aber die Spoilergöttin hat mir einen Maulkorb angelegt.

Kein Licht ohne Schatten. Die Liste der Mängel von BETRAYAL LEGACY ist lang. Wenn es in meiner Geschichte gerade ideal wäre, die achtjährige Tochter meiner Figur aus der vorherigen Partie zu spielen, ziehe ich die Hintergrundkarte „Kriegsveteran“, was dann nicht mehr passt. Viele Alternativen an Charakteren gibt es nicht, da es nur fünf Startfiguren gibt. Diese sind äußerst unästhetisch und hässlich bemalt. Die einzelnen Partien sind oft unausbalanciert und werfen manchmal mehr Fragen auf als in einer durchschnittlichen Quizshow gestellt werden. Es knirscht regeltechnisch an einigen Ecken. Der geübte Amitrashspieler macht sich nichts daraus, doch mindestens drei unserer Partien waren aufgrund der Rahmenbedingungen quasi sofort für eine Partei verloren. Das Spiel erlaubt eben Freiheiten und weiß daher nicht, wo wir gerade stehen.
Einzelne Ideen, wie die besonderen Sticker auf Hausteilen, gehen völlig unter. Das Deck mit den Gegenständen wächst so weit, dass wir unsere personalisierten Gegenstände nicht mehr ziehen. Es gibt noch mehr, doch der Spielspaßgott hat mir einen Maulkorb angelegt, denn…

… dem gegenübergestellt werden kann ein schlagendes Argument: das Gesamterlebnis. Wir haben die Geschichten im Haus wahrlich aufgesogen und ausgelebt. Unsere Charaktere mit Leben gefüllt und uns gegenseitig vorgeworfen, dass unser Urahn ein Verräter war. Die Vorfreude auf unsere Dienstagsrunde BETRAYAL LEGACY war immens. Keiner wusste, was an diesem Abend passieren würde. Wer sich gegen die Gruppe stellt und was wir dieses Mal im Haus vorfinden würden. Die Spannweite der unterschiedlichen Mysterien im Haus ist gewaltig und voller Einfallsreichtum. Die achtköpfige Spinne, die in einer Runde einem unserer Verräterspieler gehorcht hat, wird in unseren Köpfen lebendig. In jede Partie wird eine Überraschung aufgefahren – die mal gut, mal weniger gelingt, aber immer erinnerungswürdig bleibt.

BETRAYAL LEGACY ist ein Spiel voller verschenkter Möglichkeiten und wohl trotzdem mein bestes Spielerlebnis 2018. Es ist leider nur in Englisch verfügbar und wird wahrscheinlich auch nicht auf Deutsch erscheinen. Das ist der ultimative Verrat.