Eine Schweißperle rinnt von meiner Stirn herunter. Das Telefonat gerade lief gut. Seine Forderung: ein Bier, zum Runterkommen. Dafür lässt er eine weitere Geisel frei. Das Gespräch davor hat mich auch weitergebracht: schwere Kindheit, kaum Zukunftsperspektiven. Da werde ich ansetzen. Dieser Abend wird ohne Blutvergießen beendet werden… wenn der nächste Würfelwurf passt.
HOSTAGE NEGOTIATOR ist zweifelsohne etwas Besonderes: Ein Solospiel, bei dem ich als Unterhändler einen spannenden Thriller konstruiere. Die Verhandlung mit einem Geiselnehmer wird verspielt – ein harter Stoff, weswegen es mich positiv überrascht hat, dass Asmodee eine deutsche Version angekündigt hat. Wenn man sich darauf einlässt und die Karten nicht nur als abstrakte Objekte zur Spielgestaltung sieht, entfaltet sich in meinem Kopf eine komplexe Geschichte von Flucht, Verrat und Überzeugungskraft.
Das Spiel kombiniert Karten und Würfel. Auf jeder Karte gibt es drei mögliche Ausgänge: entweder ein großer Erfolg (z.B. eine Geisel wird freigelassen oder eine Forderung wird enthüllt), ein Erfolg (z.B. Konversationspunkte werden gesammelt, das Bedrohungslevel sinkt) oder ein Misserfolg (z.B. die Runde wird beendet oder alles eben genannte, nur im negativen). Mit den Konversationspunkten erwirbt man neue Karten, die einmal gespielt wieder in die Auslage wandern. Der Geiselnehmer reagiert am Ende jeder Runde mit einem Aktionsdeck, was ungeahnte Auswirkungen mit sich bringen kann. Besagte Unkalkulierbarkeiten sind Segen und Fluch zugleich. Jede Karte, ob nun eine Forderung des Verbrechers oder eine Konversationskarte ist ein Puzzlestück einer, nein, meiner Geschichte. Eine sicher geglaubte Partie drehte sich einmal so sehr zu meinen Ungunsten, dass ich schniefend vor dem Brett saß. Meine Motivation ist aber ungebrochen, denn es liegen gleich mehrere Geiselnehmer mit unterschiedlicher Hintergrundgeschichte bei, die sich auch ganz anders spielen. Dadurch wird Varianz ins Spiel gebracht, wobei das eigene Deck leider nicht verändert wird. Schade, ich hätte es mir gut vorstellen können, je nach Geiselnehmer Zugriff auf neue Karten zu erhalten und eine Kampagne als Unterhändler zu durchleben.
Die Abhängigkeit vom Würfelwurf ist hoch – ich kalkuliere also das Risiko und wähle das richtige Timing. Ich fühle mit, wenn eine Geisel das Zeitliche segnet oder ich mich entscheiden muss, ob die Snipers zum Einsatz kommen sollen oder ich doch auf mein Verhandlungsgeschick vertraue.
Hohes Glück, wenig Varianz im Verhandlungsdeck – normalerweise mache ich einen großen Bogen um solche Spiele – warum kann ich dem Spiel trotzdem diese Elemente verzeihen? Weil meine Geschichte nun mal diesen Verlauf nahm. Weil ich durch das Kino gewöhnt bin, dass diese Storylines vom Zufall durchnässt sind. Jede neue Partie ist vergleichbar, als würde man den gleichen Film nochmal sehen, nur dass ein anderer Schauspieler eingesetzt wurde. Nächstes Mal schaffe ich es, ganz bestimmt. So wahr mit der Würfel helfe.