DETECTIVE – CITY OF ANGELS : VERTRAU MEINEN AUSSAGEN

L.A. 1941. Der Geruch von billigem Cognac durchtränkt meine Nase, als ich die RED LAGOON betrete. Eine Spelunke, die man beschönigen würde, wenn man sie heruntergekommen nennt. Ein korpulenter Mann, Mitte 40 sitzt in einer Ecke vor einem vollen Aschenbecher. Ich erkenne ihn sofort – das ist Mikey Holster, ein Handlanger der Rodney-Bande, die gestern am Raub einer Bank beteiligt gewesen sein soll. Ich setze mein emotionsloses Verhörgesicht auf und zücke meine polierte Polizeimarke.
„Mikey Holster? Ich hätte da ein paar Fragen!“
„Häh, was? Ich habe doch eben schon alles Deinem Bullenkumpel gesagt.“
Kumpel? Dieser verdammte Smith war wohl schon hier, verflucht nochmal. Aber ich kenne Smith! Ich kriege mehr raus als dieser Möchtegerndetektiv. Er wird mir die Beförderung nicht wegschnappen.
„Ja, aber ich hätte da noch eine weitere Frage. Das ist hier ist doch deine Handschrift, oder?“
Ich halte ihm einen Zettel vor die Nase, den ich vor der Bank gefunden habe. Ein Gekritzel, dass wie ein Einkaufsliste von Medikamenten aussieht. In der Apotheke neben der NATIONAL BANK wurde mir bestätigt, dass Mikey genau diese Medikamente nach dem Raub gekauft hat. Ein guter Detektiv ist eben vorbereitet.
„Wie kommt dieser Zettel auf die Treppen zur NATIONAL BANK?“
Schweiß trieft aus den Poren auf Mikeys Halbglatze.
„Ich.. ich…“ Er schluckt. „Ich war da, aber ich bin nur Schmiere gestanden. Ich habe keine Ahnung, wer von den Jungs den Überfall durchgeführt hat. Die hatten alle Masken. Ich bin doch da nur ein kleines Licht. Ich bekam 200 $. Ich muss doch meine Medikamente bezahlen.“
Ich muss mich entscheiden. Weiß er mehr oder soll ich ihm glauben?

Starke Spielmechanik
Spieltechnisch tritt bei CITY OF ANGELS ein Spielleiter (sogenannter Chisel; englisch: hereinlegen) gegen die Spielenden an und auch die Spielenden selber stehen in Konkurrenz, denn sie wollen den Fall alleine lösen. Der Chisel kennt den Fall bereits und koordiniert die Aussagen der Verdächtigen. Frage ich wie im Beispiel oben nach diesem Zettel, dann bekomme ich geheim die Aussage des Verdächtigen vom Spielleiter zugeschoben. Nun fängt das Metaspiel an, denn ich schaue dem Spielleiter genau in die Augen und schätze ab, ob er mir die beste Aussage gegeben hat, oder ob ich Druck machen soll, um noch mehr Infos aus dem Verdächtigen heraus zu kitzeln. Vielleicht hat Mikey ja doch ein Person unter der Maske erkannt? Liege ich jedoch falsch, darf der Chisel im späteren Verlauf eine Aussage verweigern. Liege ich richtig, darf ich später einmal automatisch die beste Antwort erhalten.

Kompetetive Detektivarbeit
Wir haben also einen Vertreter eines kompetitiven Detektivspiels vorliegen. Daran haben sich bereits einige Vertreter die Zähne ausgebissen (z. B. WATSON & HOLMES, bei dem wir uns eine Stunde lang schweigend gegenübersitzen und in unsere Aufzeichnungen vertieft sind). Hier funktioniert es jedoch wunderbar, denn ich folge dem Zug meines Kontrahenten genau. Ich sehe zwar nicht, was für eine Antwort er bekommt, aber seine Reaktionen können Bände sprechen. Nach und nach erschließt sich der Fall mir immer mehr und irgendwann kann ich den Täter, die Tatwaffe und das Motiv vermuten. Der Chisel überprüft und gibt mir die Anzahl der richtigen Antworten. Liege ich falsch, habe ich nur noch am Ende des Spiels eine weitere Ratemöglichkeit. Wenn dann keiner der Detektive erfolgreich ist, gewinnt der Chisel.

Vielfältige Fälle
DETECTIVE – CITY OF ANGELS beamt meine Mitspielenden und mich in das LA der 40iger Jahre. Es steht in der Tradition von Filmen wie LA CONFIDENTIAL oder dem Playstation-Game LA NOIR, in dem das Verhören von Verdächtigen im Vordergrund steht. Und diese Atmosphäre wird perfekt übertragen und durch die hervorragende Grafik durch VINCENT DUTRAIT unterstützt. Die vielfältigen Fälle, die abwechslungsreich gestaltet und voller Überraschungen und Wendungen sind, tun dazu ihr übriges. Sie nutzen das gebotene Spielmaterial geschickt aus und funktionieren auf mehreren Ebenen. Jeder Fall wird durch einen professionell eingesprochenen Epilog eingeleitet. Etwas schade ist, dass die Auflösung nicht vertont wurde.

Intensive Immersion
Die Spielintensität von DETECTIVE – CITY OF ANGELS halte ich für grandios. Selten fühlte ich mich so tief hineingezogen wie hier. Das Spiel zwischen Chisel und Spielenden kann so gut funktionieren, wie ich es bisher von keinem anderen Brettspiel gekannt habe. Vertrauen und Misstrauen stehen in einem Balanceakt.
Beeindruckend finde ich vor allem, dass eine kompetitive Variante von Detektivarbeit unter den Spielenden ermöglicht wird. Noch lieber wäre es mir zwar gewesen, dass der Chisel selber die Aussagen vorträgt und so ein Rollenspielelement hinzukommt, dies geht allerdings aufgrund des kompetitiven Charakters des Spiels nicht.
Die Fälle sind in drei Schwierigkeitsgrade aufgeteilt und mitunter recht komplex. Es wird nicht immer möglich sein, innerhalb des Spiels den exakten Tathergang zu ermitteln. Eigene Gedanken und Hypothesen müssen herhalten. Schließlich sind die Fälle auf Täter, Tatwaffe und Motiv heruntergebrochen. Und das ist auch gut so, aber trotzdem hätte ich mir manchmal mehr Eindeutigkeit gewünscht.

Sprachbarrieren
DETECTIVE – CITY OF ANGELS gibt es bisher nur auf englischer Sprache und diese ist gespickt von Fachausdrücken. Selbst für Muttersprachler sind wohl einige Begriffe nicht automatisch verständlich, denn im Anhang ist eine Liste, in der die Slangausdrücke erklärt werden. Mit guten Englischkenntnissen ist es zwar problemlos spielbar, ich würde aber trotzdem empfehlen, auf die deutsche Version zu warten, die für 2020 angekündigt ist. Und das wird sich lohnen. Mein Trenchcoat ist schon in der Wäsche, damit ich dann bereit bin.