Wir entschieden zusammen und waren uns auch nicht immer einig. Doch sowohl mein Mitspieler Peter als auch ich bemerkten, dass wir die vorliegende Geschichte Ernst nahmen. Es ging schließlich darum, dass unser Protagonist nach dem Verlust seiner Frau auch noch um das Leben seiner Tochter bangen muss, nachdem diese nicht aus dem Koma erwacht ist. Ein Buch beschreibt ein Ritual, welches einen Zugang zu einer Zwischenwelt ermöglicht. Dort würde sie sich befinden. Es dauerte keine zehn Minuten und wir waren drin – in den ESCAPE TALES.
Spieltechnisch werden die zu erkundenden Räume erzeugt, indem zwei Karten aneinandergelegt werden. Anschließend setzen wir Aktionssteine ein, um den Raum zu untersuchen, der durch ein Koordinatensystem in mehrere Bereiche aufgeteilt ist. Wir können zum Beispiel zu A2 gehen, wo sich ein drehender Kreisel befindet oder einen Blick auf die Wand bei B4 werfen, an der ein Poster von einer Band hängt. Anschließend werden die entsprechenden Texte aus dem Geschichtenheft vorgelesen und die dortigen Anweisungen befolgt. Sie treiben die Story voran. Gehen uns die Aktionssteine aus, müssen wir eine Schicksalskarte ziehen, die unsere Verwobenheit mit dieser Welt thematisch vertieft. Zu Hauf finden wir symbolträchtige Gegenstände, die wir aus dem Deck mit über 120 Karten entnehmen. Aus diesem Deck entwickeln sich auch die vielen Rätsel, deren Lösung in einer App eingetippt werden. Die App kann bei Bedarf auch gestaffelte Hinweis geben und (besonders erfreulich) die für die Lösung benötige Anzahl an Karten verraten.
ESCAPE TALES findet eine Nische in der Nische der Escaperaumspiele, denn es legt den Fokus deutlich auf die zu erlebende Geschichte.
Inhaltlich erinnerte es mich an SILENT HILL, ohne jedoch dem dortigen blanken Horror ausgesetzt zu sein. Das Szenario wirkt auf mich erfrischend und geheimnisvoll. Wie weit trauen sich die Autoren, den Erzählstrang der verstorbenen Ehefrau zu vertiefen? Warum finden wir in dieser Zwischenwelt bestimmte Gegenstände? Welche Bedeutung haben sie? Die Räume wirken befremdlich, ominös und regen unseren Phantasie an: Kopfkino vom Feinsten.
Im Gegenzug dazu sind die Rätsel recht klassisch und bei einigen hätte ich mir noch mehr Bezug zur Geschichte gewünscht. Angenehm war, ohne Zeitdruck agieren zu können, denn keine Uhr misst meinen Erfolg. Die Rätsel geraten durch die andere Fokussierung etwas in den Hintergrund, nehmen aber dennoch einen großen Teil der Spielzeit ein. Für mich hätten es gerne 25% weniger Rätsel und dafür noch mehr spielentscheidende Elemente geben können. Immer dann, wenn Entscheidungen zu fällen waren, strahlte ESCAPE TALES nämlich.
Der Ausgang unserer Geschichte war tragisch – unserem Protagonisten war kein Happy End vergönnt. Wir hatten auch keine Wahlmöglichkeit mehr, was mich etwas verstimmte. Hier wurde Potential verschenkt. Die vielen möglichen Enden blieben uns verwehrt. Auch wenn das Spiel mit einer Wiederspielbarkeit wirbt, werde ich diese Geschichte nicht nochmal spielen. Dafür waren am Ende einfach zu wenig unentdeckte Karten in unserem Deck. Unsere Geschichte ist so passiert, wie wir uns an diesem Abend entschieden haben. Und dieser war besonders und wird mir in Erinnerung bleiben. Meine Küche war vier Stunden eine andere Welt, bedrohlich, unwirklich, mysteriös. Entspannte Escaperaumveteranen, die sich gerne in eine Story einträumen, sei ESCAPE TALES – THE AWAKEING ans Herz gelegt. Meines hat es gewonnen.