Jahrgang der Kartenspiele?

Irgendwie kristallisiert sich in diesem Jahrgang heraus, dass deutlich mehr Kartenspiele mein Herz berühren als üblich. Dabei fällt mir vor allem ins Auge, dass die Spiele völlig unterschiedliche Bereiche abdecken: neben den üblichen – im weitesten Sinne – Stichspielen überzeugen mich auch ein Wortspiel und ein kartengesteuerter Escaperaum. Es folgen acht kurze Einblicke in die Vielfalt der Kartenwelt.

TRIO
Regeltechnisch zugänglicher geht es kaum: wir müssen Trios, also drei gleiche Karten sammeln. Dazu stellen wir unseren Mitspielenden die Frage, dass sie uns ihre höchste oder ihre niedrigste Karte zeigen. Danach frage ich jemand anderen oder decke eine Karte der Auslage auf. Falls drei gleiche Karten zum Vorschein kommen, gehört mir das Trio.
Mit ein bisschen Merkfähigkeit kann ich auch mal abstauben und die Vorarbeit der anderen nutzen. Hoher Ärgerfaktor, aber man kann es immer schön auf die Pechfee schieben. Durch die kurze Spieldauer von zehn Minuten, wird gerne eine weitere Partie angeschlossen.
Leider wurde in der deutschen Version die niedliche Grafik der koranischen Version namens NANA zugunsten einer recht standardmäßigen Optik ausgetauscht.

5 TOWERS
Ein Bietspiel auf fünf Karten in der Auslage. Die Person mit dem höchsten Gebot muss die Anzahl der angesagten Karten bei sich anbauen. Dabei gilt: die Kartenzahlen müssen absteigend gelegt werden, sodass ich Einschränkungen unterliege. Habe ich bei meinem Turm bereits die 15, dann die 13 und darauf die 11 gelegt, dann hat die 14 keinen Platz mehr und ich kann sicherlich nicht auf alle fünf Karten bieten.
Risikoabschätzungen und ein gewisses Timing führen zum Erfolg. Denn mit der Null abgeschlossene Türme werden punktetechnisch verdoppelt. Doch wann greife ich zu? Und wann gönne ich meinen Mitspielenden die Karten nicht und sage mehr als ich schlingen könnte, nur damit sie nicht profitieren? Ein reizvolles Unterfangen, denn die Lernkurve ist hoch und die ersten Partien muss man als Lerngelegenheiten abbuchen. Mit mehr Personen kann es einen Ticken zu lang sein, Spannung ist stets gegeben.
Die liebevolle Grafik ist voller Anspielungen auf die Popkultur, hätte aber noch deutlicher die Turmfarben zeigen können.

SCHNITZELJAGD
Der Titel führt etwas in die Irre, denn ein Rätselspiel mit versteckten Wegen oder Hinweiszetteln ist es nicht. Wobei die neonfarbige Popgrafik manchen Mitspielenden doch Rätsel aufgegeben hat: „Das sieht so aus, als wäre Magenta beim Drucker aus gewesen.“ Kam unterschiedlich gut an – bis zum Extremum, dass sich einer des Mitspielens weigerte.
Regeln: Wir legen alle verdeckt eines von fünf Tier aus und in der Tierwelt geht es streng hierarchisch zu: der Bär wird immer zuerst aufgerufen. Hat ein Person den Bären alleinig ausgespielt, dann darf auf die Jagd gegangen werden und eines der andere vier Tiere gefressen werden. Da stockt kurz mein Atem: „Bitte sag nicht Eule!“ schallt es in meinem Kopf. – „Ich fresse den Luchs.“
Ein Grinsen kommt auf mein Gesicht, während meine Bekannte seufzt und flucht und den Luchs umdreht. Nach dreimal Jagen wird die beste Hand gewertet, falls man noch im Spiel ist.
Es überrascht mich selber, dass ich ein Spiel mit Elimination so gut finde, aber das Warten ist kurz und ich brauche die Zeit meine Schmach zu verdauen.
Das Spiel funktioniert am besten, wenn wenig durchanalysiert wird und vielleicht auch mal gegen die Wahrscheinlichkeit gelegt wird.

CABANGA
AMIGOs Kerngeschäft sind Kartenspiele, weswegen es nicht überrascht, dass auch von ihnen ein neues Werk Einzug in meine Lieblinge gefunden hat.
Alle Karten auf meiner Hand will ich loswerden. Bin ich am Zug, lege ich eine Karte auf einen farblich passenden Stapel aus. Dadurch sind nun zwei Zahlen sichtbar, beispielweise eine gelbe 9 und eine gelbe 6. Alle anderen dürfen in diesem Moment laut CABANGA rufen und können gelben Zahlen dazwischen, also in dem Fall die gelbe 7 und 8, loswerden. Und schlimmer noch: für jede muss ich eine Strafkarte ziehen. Ein schöner Verlauf ergibt sich dadurch, dass man Anfangs noch das Schlimmste verhindern kann, aber irgendwann in den sauren Apfel beißen muss und eine Zahl legen muss, die eine große Spannweite offenlegt. Wen trifft es zuerst? Und manchmal überrascht es dann doch, wenn man gar nicht bestraft wird, denn nicht alle Karten sind ausgeteilt. Je mehr Personen teilnehmen, desto spannender und lustiger wird die Kartenablegerei.

FARAWAY
Einen kleinen Messehype gab es um dieses unscheinbare Kleinod. Eigentlich geht es nur darum, acht Karten vor sich zu platzieren. Ist die darauf abgebildete Zahl größer als die vorherige, gibt es eine kleines Bonuskärtchen, das separat gelegt wird. Das Besondere: am Ende werden alle Karten umgedreht und von rechts nach links ausgewertet. Habe ich zu Beginn eine Karte gewählt, die drei Ananas benötigt, muss ich im weiteren Verlauf darauf achten, diese Rohstoffe zu erhalten.
Macht direkt süchtig! Geht mein Plan auf? Wer nimmt mir die benötigten Karten weg? Spiele ich eher die Karte, die mir Rohstoffe bringt oder eine Zahlenkarte für die Bonuskärtchen? Gezockt werden kann schon bei BOARDGAMEARENA, ansonsten bin ich mir sehr sicher, dass die deutschen Verlage sich um dieses Spiel reißen werden.

SIDES
Ein kooperatives Wortspiel mit Metaspiel! Ein Begriff wird gesucht und die Hinweise müssen mit dem Buchstaben beginnen, der links oder rechts in der Buchstabenreihe liegt. Möchte ich zum Beispiel den Begriff Sofa erklären und liegt links ein K und rechts ein B, dann rattert es in meinem Kopf. B wie Bett – das ist aber zu weit weg. K wie Kissen? Auch das nicht optimal. BEQUEM! Das ist mein Hinweiswort.
Nach dem Rateversuch darf dann die Erklärgruppe Tipps geben, wie nah man am gesuchten Begriff war. Wurde auf „Bequem“ das Wort „T-Shirt“ getippt, würde ich vielleicht 20 % nah dran geben.
Sehr clever designtes Spiel, das sich durch die Möglichkeit der Einordnung der Lösungswörter vom Wortsuche-Einheitsbrei abhebt. Ah, ich hab´s: BETTERSATZ wäre ein guter Hinweis!

THE LIGHT IN THE MIST
Unsere Freundin Sam ist verschwunden. Ihr letzter bekannter Standort ist ein vernebelter Wald und eine seltsame alte Frau gibt uns ein Tarotset, das angeblich Sam gehörte und in denen ihre Erinnerungen gespeichert sind.
Das Spiel besteht aus wundervoll illustrierten Tarotkarten, die zusammen mit einem Erzählheft tief in die Geschichte um Sam eintauchen lassen. Die Rätsel sind auf einem hohen Niveau gestaltet und erfordern die Kombination mehrere Karten. Nichts für Neulinge im Genre, für mich allerdings ein Rätselfest und mit das beste Escapespiel, welches ich in diesem Jahrgang erleben durfte.
Einziger Wermutstropfen: die Lösungen sind stets englische Wörter, da die Rätsel nicht ins Deutsche übersetzt werden konnten.

SURFOSAURUS MAX
Surfing Saurier… ja, wenn man denkt, man hat schon viel gesehen, dann präsentiert dieser Kartenspaß nochmal ein ganz anderes Thema. Aber keine Sorge, so verrückt geht es dann im Spiel nicht zu: der Sauriermeeple zeigt nur die Startperson an.
Wir spielen Karten aus unserer Hand, die Zahlen und Farben haben. Aus den ausliegenden Karten wollen wir die bestmögliche Pokerhand aus vier Karten erhalten. Also beispielweise einen Vierling oder eine Straße. Der Clou: ich möchte mit meinen Karten an der Auswertung beteiligt sein, denn nur die höchste Kombi gewinnt. Richtig gemein wird es, wenn andere sich absprechen und im letzten Moment eine lästige Karte einwerfen, die meine Plänen für die Mülltonne machen.
Die Interaktion zwischen den Spielenden ist hoch und der Trashtalk am Tisch macht es nochmal besser. Und wenn die grünen und gelben Karten nicht beide oben weiß hinterlegt wären, hätte ich es noch besser gefunden.

Unberührt auf meinem Spielestapel liegt übrigens noch REBEL PRINCESS, auf welches ich mich sehr freue. Stichspiele mag ich ja sowieso, aber hier sticht (haha) besonders das Thema hervor. Die Prinzessinnen haben sich zu einem Ball verabredet – aber die nervigen Prinzen mit ihren Anträgen sollen bitte draußen bleiben. Man versucht so lange wie möglich keinen Prinzen in den eigenen Stichen zu haben. Ich hoffe, das Spiel ist so originell und witzig wie das Setting.

 


Ist es der Jahrgang der Kartenspiele oder liegt es an mir? Wurde eine neue Kartenspielader in mir geweckt? Das bleibt abzuwarten und zu beobachten, aber auffällig ist es schon. Vielleicht wurde durch die hohen Rohstoffpreise mehr Kreativität in „einfache“ Kartenideen gesteckt. Ich freue mich auf weitere Entdeckungen – auch außerhalb der Kartenspiele. Der Brettspieljahrgang startet ja eigentlich immer erst zur Messe – und ist daher noch jung.