PALADINE DES WESTFRANKENREICHES : UNZUGÄNGLICHE HELDEN

Ich wusste relativ lange nicht, was Paladine eigentlich sind. Erst am Ende meiner Teenagerjahre, als ich die Rollenspielwelt für mich entdeckte, wählte ein Mitspieler seinen Standardcharakter: einen Paladin. Vorsichtig und unwissend erkundigte ich mich, was das denn sei. Mit einem fetten Grinsen im Gesicht erwiderte er: „Ein ehrenhafter Held in goldener Rüstung.“

PALADINE DES WESTFRANKENREICHES ist ein Arbeitereinsetzspiel. Aber doch mehr als das. Ich wähle zu Rundebeginn eine aus drei zufälligen Paladin-Karten aus meinem Deck aus. Meine Mitstreiter tun dies ebenfalls. Paladinkarten geben mir Arbeiter unterschiedlicher Farbe, die ich auf meinem eigenen Tableau einsetze. Außerdem wird mir eine Aktion durch einen Bonus besonders schmackhaft gemacht und ein oder zwei der drei Leisten (Glaube, Stärke und Einfluss) werden für diesen Zug erhöht.

Der Paladin Anséis bringt einen blauen und grünen Arbeiter mit. Außerdem steigt für diese Runde der blauen und schwarze Leistenwert. Unten gibt es noch einen Bonus fürs Befestigen.
Die Karten der unterschiedlichen Decks unterscheidet man übrigens über den Hintergrund. Ja, ich habe auch gebraucht.

Dies erste Entscheidung zeigt bereits, wie viel bedacht werden muss. Es wird komplex werden und PALADINE verlangt seinen Spielenden einiges ab.


Die weiteren Aktionen bringen mir entweder einen Vorteil wie Ressourcen oder Bewohner (linke Seite) oder lassen die Werte in den drei Hauptleisten steigen (rechte Seite). Dabei ist oft eine Voraussetzung in einer anderen Leiste notwendig. Für das Entsenden braucht man Glaubenspunkte (schwarz), um dann in der blauen Einflussleiste vorzurücken. Dies wird neben dem Entsenden in den Pfeilen dargestellt.

Ein typischer Zug wird von mir in etwa so kommentiert:
„Ich muss das Gebäude hier runternehmen, dann kommt darunter ein Symbol zum Vorschein und ich muss die entsprechende Leiste hochgehen. Darüber ist ein Proviant abgebildet, den ich bezahlen muss. Dann setze ich das Gebäude ein: aber nur in dem erlaubten Bereich. Ich schaue welchen Wert auf der Leiste ich dafür habe. Ich muss noch den Paladinbonus-Wert hinzurechnen. Dann bekomme ich den dort angezeigten Bonus.“

Die Regeln sind klar und verständlich geschrieben. Trotzdem fällt der Zugang zum Westenfrankenreich schwer, weil die Verzahnungen der einzelnen Elemente erst im Spiel deutlich werden. Es ist, als würde ich Grundschüler*innen die einzelnen Buchstaben erklären und dann hoffen, dass sie das Wort Automat vorlesen können.
In manchen Teilen erschwert der Spielplan dies noch. Alles steht zwar irgendwo, aber versteckt oder in zweifacher Bedeutung. Selbst erfahrenen Spielern konnte ich ein Stirnrunzeln entnehmen, wenn sie gewissen Aktionen ausführten.

Wenn diese Hürde jedoch genommen wurde, kommt ein herausforderndes Optimierspiel zum Vorschein. Es erlaubt unterschiedliche Herangehensweisen, die durch verschiedene Aufträge gesteuert werden. Keine Strategie fiel mir als dominant auf. Ständig drehe ich an meinen Gehirnschrauben und passe mich an. Kluge Entscheidungen werden belohnt und ich habe das Gefühl, selbst dafür verantwortlich zu sein.
Auf meinen Einsetzplan verwalte ich nach eigenem Gutdünken, Interaktion unter den Spielenden wird durch einen gemeinsamen Einsatzplan erzeugt, bei dem ich Felder wegschnappen kann. Außerdem gibt es Karten und Aktionen, die ich mir sicher muss, bevor es jemand anderes tut. Besonders mag ich die Inquisition: wer die meisten Verdachtskarten hat, erhält einen Schuldschein, der Minuspunkte einbringen kann. Diese Inquisition kann ich auch mal ganz bewusst einleiten. Dies fühlt sich zwar nicht ehrenhaft wie ein Paladin an, aber tut dem eigenen Punktekonto gut.

Wenn ich als Lehrer einem Schüler eine schlechte Note in einem Test herausgeben muss, hat das oftmals einen von zwei Effekten: sie fühlen sich angespornt oder demotiviert. Ähnlich geht es mir bei den PALADINEN: ich fühle mich herausgefordert und möchte das nächste Mal ein besseres Ergebnis erzielen. Mindestens genauso oft traf ich jedoch auch auf Spieler*innen, die gefrustet das Handtuch warfen.

Ich poliere mit den Handtuch meine goldene Rüstung, denn ich werde sie in nächster Zeit noch öfter anlegen.